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 Bild: Jens Schulze

Die Vikarinnen und Vikare werden zu Beginn des Vikariats einer Vikaritsleiterin/ einem Vikariatsleiter in einer Kirchengemeinde zugeordnet. Hier sammeln sie Praxiserfahrungen für den Pastorenberuf. Zum Konzept der Ausbildung gehört, dass Vikarinnen und Vikare in ihrem Vikariatsort leben. Hier lernen sie den Alltag einer Kirchengemeinde kennen und nehmen die Menschen vor Ort wahr.

Bericht aus dem Vikariat von Helen-Kathrin Treutler, Dreifaltigkeitsgemeinde Hannover

 

Das war sie also: Die Sommervertretung. Nach über einem Jahr im Vikariat durften die Vikare aus Kurs 5 eigenständig die Gemeinde während der Urlaubszeit des Mentors/der Mentorin leiten.

Kurz vorher war die Übergabe. Letzte Sachen wurden abgesprochen: Wer übernimmt den Küsterdienst? Wer vertritt die Gemeindesekretärin? Welcher Pastor ist noch im Hintergrund da?

Das war es. Danach war ich auf mich alleine gestellt. Es fühlte sich schon eigenartig an und so langsam kamen Fragen und Zweifel auf, wie: Was mache ich, wenn einer der alten Bäume auf die Kirche kippt? An wen wende ich mich, falls durch den Starkregen der Keller des Gemeindehauses voll läuft? Was sollte ich tun, wenn im Gemeindebüro Dinge geklärt werden müssten, von denen ich keine Ahnung hätte? Diese und ähnliche Fragen schwirrten im Kopf. Aber wie es so soft im Vikariat ist: Es wird sich dann schon eine Lösung finden.

Nun gut: Es ging also los:

Gleich zu Anfang stand eine ökumenische Trauung an. Sie sollte in der katholischen Kirche stattfinden. Es war sehr aufregend, da hier die ganzen liturgischen Orte und Wege zwischen Gebet, Lesung und Predigt so ganz anders waren, als in der Dreifaltigkeitskirche. Ich war mindestens eine Stunde vor Beginn da, um Alles noch einmal innerlich durchzugehen, zu testen, welches Mikro benötigt wie viel Abstand, sollte die Predigt eher vom Pult oder frei vor dem Hochzeitspaar gehalten werden, was müsste noch mit dem Organisten und dem Priester abgesprochen werden? Letztlich hat Alles gut geklappt und es hat Spaß gemacht, mit dem katholischen Priester zusammen die Liturgie zu singen. Es war schön, im Brautpaar und in der Traugemeinde das Miteinander der Konfessionen zu sehen sowie die Liebe zwischen zwei Menschen zu feiern. Und zu guter letzt: Wann hat man schon einmal die Gelegenheit zu, „Viva la vida“ auf der Orgel aus der Kirche zu ziehen?

Ein paar Tage später kam der Kindergartenabschlussgottesdienst vor den Ferien. Wie soll man den Bund zwischen Gott und Abraham mit dem Segen für Kinder zwischen drei und sechs Jahren verständlich machen? Und wie überträgt man es auf das Leben der Kinder? Mit Hilfe von Bildern und Liedern war auch dies möglich. Zumindest waren die Kinder gut dabei, haben kräftig mitgesungen, Bewegungen mitgemacht und Bilder beschrieben. Ich hoffte einfach, dass sie etwas aus dem Gottesdienst mitnehmen konnten und auch die baldigen Schulkinder den persönlichen Segen als etwas Besonderes erlebt haben.

Dann stand noch ein Gottesdienst mit Abendmahl im Pflegeheim an. Hier ging es etwas ruhiger zu als mit den Kleinen, aber die theologische Herausforderung war mindestens genau so groß. Auch hier war ich mir nicht sicher, ob wirklich die theologisch Botschaft so angekommen ist, wie ich es mir dachte. Manchmal hilft es eben nur, auf den Heiligen Geist zu vertrauen. Unabhängig davon ist es schön zu sehen, wie Menschen, die sonst eher schweigsam auf ihrem Stuhl sitzen, bei den  Kirchenliedern aufblühen und mitsingen und sogar das Vaterunser noch auswendig mitsprechen können.

Sodann waren da noch die wöchentlichen Besuche beim Teekreis, eine fröhliche Runde von ca. 25 Personen. In den Ferien trafen wir uns im Milchhäuschen, einer Art halbüberdachtes Sommercafé im Stadtwald von Hannover. Ein paar Unerschrockene kamen sogar bei strömenden Regen, aber die Mehrheit wartete dann doch auf den nächsten Mittwoch mit strahlendem Sonnenschein. Bei Kaffee und Kuchen war die Stimmung sehr heiter, Neuigkeiten in und über die Gemeinde wurden ausgetauscht und auch persönliche Themen angesprochen.

Großen Runden im Gemeindeleben sind schön, aber auch die Gespräche zu zweit sind wichtig, nämlich bei den persönlichen Geburtstagsbesuchen. Hinter jeder Wohnungstür steht ein volles Leben, z.T. mit Flucht und Vertreibung, mit der schönsten Liebesgeschichte, mit traurigen Rückschlägen und meist mit der ein oder anderen Überraschungen. Genau bei diesen Besuchen merke ich jedes Mal, was die Menschen bewegt. Hier wird mir oft bewusst: Als Vikarin und auch später als Pfarrerin bekommt man einen großen Vertrauensvorschuss. Das ist schon ein ganz besonderes Gefühl.

Und nun zum Schluss die Gottesdienste: Es war das erste Mal, dass ich an drei Sonntagen hintereinander die Gottesdienste gehalten habe. Ich sah es als Testlauf an für die Zeit nach dem Vikariat. Dann muss man schließlich jeden Sonntag auf die Kanzel. Außerdem steht bald die Examenspredigt an. Ich nutzte also die Gelegenheit und probierte noch einmal unterschiedliche Predigtkonzepte und -strukturen aus: die klassische Homilie, eine Erzählpredigt und eine Mischung aus beidem. Ich hoffte fragen zu finden: Worauf reagiert die Gemeinde besonders? Mit welcher Form werde ich dem Predigttext gerecht? Was passt am besten zu mir selbst? Was wurde eher kritisch gesehen? Welche Lieder stießen auf gute Resonanz?

Vorgestern endete die Sommervertretung. Es waren keine Bäume umgekippt, der Keller des Gemeindehauses bliebt trocken und für die Beantwortung der Fragen im Gemeindebüro lohnte sich ein Blick in das Kirchengesetz.

Insgesamt hat die Sommervertretung Spaß gemacht. Ich habe mehr Selbstvertrauen gewonnen und auch die Gewissheit: Es ist möglich eine Gemeinde zu leiten, zusammen mit engagierten Ehrenamtlichen.