Bild: Roger Heimann

Hier finden sie aktuelle und grundsätzliche Informationen aus dem Predigerseminar und der Ausbildung

Presseartikel

Interview aus Anlass des Wechsels der Direktorin des Loccumer Predigerseminars Frau Dr. Ruck-Schröder zur Regionalbischöfin im evangelischen Sprengel Hildesheim Göttingen
 

Für, mit und in Kirche Brücken bauen

Es war eine nur kleine Zeremonie in Loccums Stiftskirche, mit der Adelheid Ruck-Schröder verabschiedet worden ist. Klein – wegen der Pandemie. Sechs Jahre lang ist die Theologin Studiendirektorin im Loccumer Predigerseminar gewesen und hat dabei viele Umbrüche begleitet, gestaltet und miterlebt. Nicht zuletzt den, seit Ende 2016 inmitten einer Baustelle auf dem Klostergelände zu arbeiten. Nun wird sie Regionalbischöfin im evangelischen Sprengel Hildesheim Göttingen. Ein Baustellengespräch vom Brückenbauen und Kirche im Umbruch.


Frau Ruck-Schröder, Ihre Zeit in Loccum ist von Bauarbeiten geprägt gewesen. Gehören Gummistiefel zu ihrer üblichen Büroausstattung?

Nein, ich bin schon sehr robust, was Baustellen angeht. Einmal stieß ich allerdings auf einen Graben direkt vor meiner Bürotür. Um nicht dauernd herüber springen zu müssen, habe ich mir ein Brett von der Baustelle geholt. Und eine Brücke gebaut (lacht).

Haben Sie auch in anderer Hinsicht Brücken bauen müssen?

Auf jeden Fall. 2013 ist das Predigerseminar in die Verantwortung der Landeskirche übergegangen. Nach fast 200 Jahren, in denen das Kloster zuständig war. Da galt es, eine neue Brücke zwischen Landeskirche und Kloster zu bauen.

Das Predigerseminar hat aber noch mehr Veränderungen erfahren. Wie die neue Zuständigkeit für die Ausbildung der Vikare aus fünf Landeskirchen.

Ja, neben Hannover gehören jetzt auch Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen dazu. Eine weitere Brücke, die wir bauen mussten. Zwischen den Vikaren und zwischen den Landeskirchen.

Ist das ein Trend? Rückt Kirche näher zusammen?

Ja. Weil wir gemeinsame Aufgaben gemeinsam bewältigen müssen. Das erstreckt sich aber nicht nur auf die evangelisch-lutherischen Kirchen. Wir sind grundsätzlich in einem Umbauprozess. Dazu gehört auch, dass die christlichen Kirchen näher zusammenrücken müssen.

Sie meinen die Protestanten und Katholiken. Wie sieht es mit anderen Religionsgemeinschaften aus?

Der Auftrag von Religionen in der Welt ist es doch, sich für den Frieden einzusetzen. Insofern werden interreligiöse Gespräche immer wichtiger. Ein Thema übrigens, das ich mir auch als Regionalbischöfin vorgenommen habe: Die evangelische Stimme in den Chor vieler Stimmen einzubringen.

Der Chor der christlichen Stimmen wird aber immer kleiner. Thema Mitgliederschwund. Wie gehen Sie damit um?

Unser Erfolg ist nicht an allein Mitgliederzahlen messbar. Das ist es auch, was wir den Vikaren hier vermitteln. Wir predigen ihnen nicht Mitgliederzuwachs gegen den demografischen Trend. Aber es gibt viel mehr Menschen, die sich für religiöse Fragen interessieren, als wir denken. Außerdem sind 50 Prozent der zugewanderten Menschen Christen. Für die ist es gar nicht so leicht, Heimat bei uns zu finden. Wir ermutigen Vikare, über den Tellerrand hinaus zu schauen und sich für den Sozialraum zu öffnen. Was kann Kirche für die Gemeinschaft tun? Das ist die zentrale Frage.

Bedingt der Mitgliederschwund, dass die Vikare um ihre Zukunft bangen müssen? Dass sie befürchten müssen, keine eigene Gemeinde zu bekommen?

Nein, unsere Vikare werden alle ihren Beruf ausüben können. Kirchengemeinden brauchen dringend junge Pastoren und Pastorinnen. Es gibt aber viele andere Felder. Wie die Arbeit von meinem Team und mir hier im Predigerseminar beispielsweise. Und die vielfältigen Aufgaben der Kirche in unserer Gesellschaft wie Krankenhausseelsorge und Religionsunterricht in der Schule. Es geht darum, christliche Fragen einzubringen.

Verändert auch die Pandemie die kirchlichen Antworten?

Ja. Die Pandemie wird unsere Kirche verändern und hat sie schon verändert. Das hören wir immer wieder aus den Gemeinden unserer Vikare. Auch, wie vielfältig die Antworten auf die Umstände sind und wie kreativ damit umgegangen wird. Viele Pastorinnen und Pastoren zählen seitdem umso mehr auf die Mitwirkung der jungen Generation und damit auch der Vikarinnen und Vikare.

Wie konnten Sie die Ausbildung in Loccum in diesem Corona-Jahr denn aufrechterhalten?

Schwierig, aber es ging. Präsenzzeiten hatten die Vikare nahezu überhaupt nicht. Für uns ging es darum, auch in Online-Formaten ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen. Das ist ganz gut gelungen, glaube ich.


Präsenz hier im Kloster haben Sie aber doch ohnehin seit Beginn der Bauarbeiten kaum noch anbieten können.

Ach, das sind schon mehr als vier Jahre! Seitdem sind wir ein mobiles Predigerseminar mit wechselnden Standorten. Aber im Spätsommer werden wir wieder einziehen. Das wollen wir feiern und auch den 201. Geburtstag des Predigerseminars.

Sie haben die Bauarbeiten auf der teuersten Baustelle, die die Landeskirche je hatte, von Beginn an begleitet. Und verlassen Loccum kurz vor der Fertigstellung. Ist das nicht enttäuschend?

Aber ich werde doch weiterhin mit Loccum zu tun haben! Im Herbst darf ich als Regionalbischöfin einige „meiner“ Vikare ordinieren. Außerdem glaube ich, dass ich eine Einladung zur Einweihung bekomme (zwinkert). Und sicher werde ich auch weiterhin in Loccum zu Gast sein.

Interview: Beate Ney-Janßen - Meldung vom 28.04.2021

 

epd-Artikel 200 Jahre Predigerseminar vom 16.11.2020

Zwischen Tradition und Experimentierfreude

Von Michael Grau (epd)

Loccum/Kr. Nienburg (epd). Vikar Maximilian Baden (31) soll den Witwer spielen und tritt rechts an das fiktive Sterbebett. Die Kollegin neben ihm mimt die trauernde Tochter, und der Kollege gegenüber stellt den Pastor dar. Mit einem Rollenspiel üben die angehenden Pastoren im niedersächsischen Loccum, was bei der "Aussegnung" eines gerade gestorbenen Menschen zu Hause oder im Krankenhaus zu beachten ist - ein Ritual, das in vielen Gegenden verbreitet ist. "Wir begeben uns in die Rollen hinein", sagt Baden. So wollen sie herausfinden, was den Trauernden gut tut. "Wir fanden es alle toll, ein kleines Kerzenritual einzubinden." Die Einheit gehört zu einem Kurs des Predigerseminars im Kloster Loccum bei Nienburg - einer Einrichtung, die in diesen Tagen auf eine reiche Geschichte zurückblickt.

Denn seit genau 200 Jahren werden in den altehrwürdigen Mauern zwischen Weser und Steinhuder Meer künftige evangelische Pastorinnen und Pastoren nach ihrem Studium fit für ihren künftigen Beruf gemacht. Am 20. November 1820 hielt der damalige Studiendirektor Friedrich Burchardt Köster (1792-1878) die Eröffnungsrede. Zwar hatten bereits seit dem 17. Jahrhundert immer wieder Vikare für eine bestimmte Zeit in Loccum gelebt, um den Konvent des evangelisch gewordenen Klosters zu unterstützen. Doch erst ab 1792 wurde dort systematisch über deren Ausbildung nachgedacht.

"Es war eine Zeit massiver Umbrüche", erläutert die heutige Studiendirektorin Adelheid Ruck-Schröder (54). "Das Zeitalter der Moderne hatte begonnen." Heute ist die Ausbildung der Vikarinnen und Vikare die zentrale Aufgabe im Kloster. Um ihnen bessere Lernbedingungen bieten zu können, lässt die hannoversche Landeskirche die historische Anlage bis 2021 für 33 Millionen Euro grundlegend sanieren und erweitern.

Bundesweit gibt es zehn solcher Predigerseminare mit rund 900 Vikarinnen und Vikaren - die Teilnehmerzahlen sind nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach einem Rückgang im vergangenen Jahrzehnt inzwischen wieder weitgehend stabil. Alle der rund 21.000 evangelischen Pastorinnen und Pastoren, die heute in Deutschland tätig sind, haben ein solches Seminar durchlaufen. Mit 125 Vikarinnen und Vikaren aus Niedersachsen und Bremen gehört das Kloster Loccum bundesweit zu den größten und ältesten Ausbildungsstätten.

Maximilian Baden schätzt an den Kursen vor allem, dass er dort vieles ganz praktisch ausprobieren kann. Es gibt ein Sprachtraining, ein Auftrittstraining mit einem Schauspieler, einen Schreibworkshop und Hinweise für Seelsorge und Gemeindeleitung. "Das kann man nicht aus Büchern lernen."

Die Tipps aus Loccum kann er in seiner Vikariatsgemeinde in Celle gleich umsetzen. Denn die zweieinhalbjährige Ausbildung der Nachwuchstheologen ist dual ausgerichtet: Die eine Hälfte der Zeit verbringen sie in einer Ortsgemeinde, die andere im Seminar, wo jeder und jede ein Zimmer hat. Hier reflektieren sie ihre unterschiedlichen Erfahrungen. "Ich finde es wichtig, dass wir hier sehr vertrauensvoll miteinander arbeiten", sagt Baden. "Kritik und Anregungen nimmt man eher von Freunden an als von Dozenten."

Studiendirektorin Ruck-Schröder freut sich, dass nach wie vor so viele junge Menschen sich für den Pfarrberuf entscheiden. Denn wie zur Gründungszeit des Predigerseminars sei der Beruf auch gegenwärtig im Umbruch: "Pfarrer sind heute nicht mehr selbstverständliche Amtsträger. Sie sind vielmehr Brückenpfeiler von Christentum und Religion in die Gesellschaft hinein. Sie müssen hinausgehen aus ihrem Pfarrhaus und Verbindungen schaffen."

Der Pastor von morgen müsse Tradition und Experimentierfreude miteinander verbinden können, betont die Theologin: "Man muss sich souverän auf dem klassischen Parkett des pfarramtlichen Handwerks bewegen können. Und man muss zugleich in der Lage sein, je nach Situation neue Wege zu finden."

In ihrem Rollenspiel tüfteln die Loccumer Vikare unterdessen weiter an ihrem Aussegnungsritual. Wo soll der Pastor stehen, damit alle das Segenszeichen sehen können? Und wann zündet er die Kerze an? Maximilian Baden rät davon ab, den Trauernden eine Kerze direkt in die Hand zu geben. "Das Problem ist das Zittern." Die Kerze muss deshalb auf einer festen Unterlage stehen. "Solche Sachen fallen einem erst beim Tun auf." (6082/16.11.20)